Text:
Die Diskussion zum Verhältnis von Ethik- und
Religionsunterricht ist seit dem Beitritt der
ostdeutschen Bundesländer zum Geltungsbereich des
Grundgesetzes auf verschiedenen Ebenen intensiv geführt
worden. Während die bildungspolitischen und die
pädagogischen, auch die religionspädagogischen
Fragestellungen sich eines relativ großen Zuspruchs
erfreuten, ist die juristische Debatte dahinter
zurückgeblieben. Die juristische Wissenschaft befasste
sich mit dem Verhältnis der konfessionellen Fächer und
dem Komplementärunterrichtsfach (der Vf.) vornehmlich im
Rahmen staatskirchenrechtlicher Probleme; während auf
der Ebene der Gerichtsbarkeit vor allem die Problematik
der Teilnahmeverpflichtung sowohl am Religions- als auch
am Ethikunterricht zu relativ vielen Urteilen und damit
verbunden zu Urteilsbegründungen mit grundsätzlichen
Ausführungen führten.
Die vom Vf. bei Bundesverfassungsrichter Udo Steiner
in seiner Eigenschaft als Lehrstuhlinhaber an der
Universität Regensburg geschriebene Dissertation nimmt
sich dieses Desiderats an. Ausgangspunkt der
Untersuchung ist die These, dass grundsätzlich zwischen
Rechts- und Kulturstaat unterschieden werden kann. Der
Vf. weist mit vielen Argumenten und Beispielen nach,
dass die Staatlichkeit in unserem Land sich durch eine
gemeinsam geprägte Kultur konstituiert, zu der für den
Vf. neben der Sprache, Kunst, Philosophie und
Wissenschaft wesentlich auch die Religion gehört.
Der Kulturstaat in Unterscheidung zum Rechtsstaat als
Gegenstand einer juristischen Expertise ist an sich
schon ein bemerkenswertes Phänomen! Dass aus der
Kulturstaatlichkeit rechtliche Determinanten abgeleitet
werden, verdient ein besonderes Augenmerk. Als Leser
vermisst man zunächst die Aufnahme und Diskussion
anderer einschlägiger Wissenschaften, die sich mit dem
Verhältnis des Religions- zum Ethikunterricht befassen.
Die vom Vf. gewählte "innerjuristische" Argumentation
besitzt aber den Vorteil einer Konzentration auf die
Grundlagen der rechtsstaatlichen Fragestellungen. Die
beiden großen Teile der Untersuchung, nämlich die
verfassungsrechtlichen Grundlagen staatlicher
Werteweitergabe und die Problematik zur
Teilnahmeverpflichtung am Ethikunterricht, versuchen
nachzuweisen, dass positive Setzungen von staatlicher
Seite im Bereich der Bildung unverzichtbar sind, weil
"mit den Kräften der Verneinung alleine ... sich kein
Staat machen" lässt (22). Der Religionsunterricht
besitze dabei das Privileg, an überlieferte kulturelle
Gegebenheiten anknüpfen zu können, während der
Ethikunterricht sich erst seine eigenen Inhalte setzen
müsse. Der Ethikunterricht stelle deshalb nur die
zweitbeste Lösung für die ethisch-religiöse Bildung dar.
So überzeugend sich die juristischen Beweisführungen
in der Untersuchung darstellen und so vielfältig die
aufgeführten Begründungen eine stringente Entwicklung
aufzeigen, allein die Wirklichkeit in den Schulen
unseres Landes spricht eine gravierend andere Sprache.
Die prägende Kraft des Christentums und christlicher
Wertvorstellungen ist längst nicht nur in den neuen
Bundesländern nicht mehr evident, selbst in süddeutschen
Gebieten sind traditionelle kirchliche Prägungen bei
einer Mehrheit von Eltern und Schülern nicht mehr
vorauszusetzen, selbst dort, wo sich die
Kirchenmitgliedschaft prozentual noch auf einem hohen
Niveau bewegt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang,
dass der Vf. fast durchgängig von Kirche nur im Singular
spricht- und damit offensichtlich auch nur eine
bestimmte Ausprägung der christlichen Tradition in
unserem Land vor Augen hat, während doch schon das
Grundgesetz im einschlägigen Art. 7 Abs. 3 von den
"Religionsgemeinschaften" spricht.
Nach Lage der Dinge lässt sich die ethisch-religiöse
Bildung in den öffentlichen Schulen nur unter der
Bedingung politisch rechtfertigen und pädagogisch
weiterentwickeln, dass Religions- und Ethikunterricht in
einem partnerschaftlichen Verhältnis die Schülerinnen
und Schüler in die wichtigsten Bezüge der
Geistesgeschichte der Menschheit einführen. Die
konfessionellen Fächer verfügen gegenüber dem
Ethikunterricht anerkannterweise über zusätzliche
Möglichkeiten, etwa die Einübung in Glaubensvollzüge zum
besseren Kennenlernen und Verstehen der jeweiligen
Konfession, die dem Ethikunterricht verwehrt sind.
Gleichwohl ist der Ethikunterricht nicht defizitär,
sondern er gewinnt zunehmend sein eigenes Profil; und
durch neue universitäre Ausbildungsgänge für die
Unterrichtenden auch verstärkt an vergleichbarer
pädagogischer Qualität.
Der Ethikunterricht ist zwar rechtlich in mehreren
Bundesländern noch "Ersatzfach" für den konfessionellen
Religionsunterricht, aus politischer und pädagogischer
Sicht aber führt die Bezeichnung des Ethikunterrichts
als "Komplementärfach" angesichts der gesellschaftlichen
Wirklichkeit weiter. In diesem Begriff wird das
gegenseitige Aufeinanderangewiesensein der beteiligten
Fächer ausgedrückt. "Der Religionsunterricht ist in den
öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien
Schulen ordentliches Lehrfach", heißt es in Art. 7 Abs.
3 GG. Die Entsprechung zu einem ordentlichen Lehrfach
kann nur ein adäquates Angebot im Ethikunterricht sein.
Letztlich weist die vorliegende Untersuchung auf diesen
Weg. Auch wer sich die Erwägungen des Vf.s nicht so
konservativ gewünscht hätte, kann die Stringenz der
grundlegenden Argumentation nicht negieren.