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"Ihr aber seid Leib
Christi". Zur Aktualität des
Leib-Christi-Gedankens für eine heutige Pastoral.
Mit einem Vorwort von J. Werbick.
Verlag:
Regensburg: Pustet 1998.
254 S. gr.8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-7917-1594-1.
Rezensent:
Alfred Seiferlein
Worüber sprechen wir, wenn wir über die Kirche
reden? Nur über die regelmäßig beim Gottesdienst
versammelten Getauften? Über die geschichtliche
Gemeinschaft von Menschen? Über die Gruppe von
Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer
zwar nicht aktiv beteiligen, aber auch (noch?) nicht
aus ihr ausgetreten sind? Über die Institution mit
ihren Gremien und dem differenzierten
Verwaltungsapparat? Über die empirische Kirche mit
ihrer gesellschaftlichen Rolle? Sprechen wir über
die "Gemeinschaft der Heiligen" aus dem
apostolischen Glaubensbekenntnis? Oder über das
heterogen zusammengesetzte wandelnde Gottesvolk?
Oder reden wir über den "Leib Christi", an dem alle
Glieder leiden, wenn eines leidet und sich alle
freuen, wenn sich ein Glied freut?
"Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die
katholische Ekklesiologie eine entscheidende
Neuorientierung erfahren. Als biblische Grundlegung
steht nun der Volk-Gottes-Begriff in ihrem
Mittelpunkt, während die Metapher ,Leib Christi’ nur
noch eine untergeordnete Rolle spielt" (13). Diese
Verschiebung möchte Sabine Mirbach mit ihrer bei
Hansjürgen Verweyen gearbeiteten Dissertation
hinterfragen und für eine neue Hinwendung zum
Leib-Christi Gedanken ermutigen. "Ziel dieser Arbeit
ist, die unverminderte Fruchtbarkeit des
Leib-Christi-Gedankens für Ekklesiologie und
Pastoral zu erweisen" (13). Steht dieses Vorhaben
zunächst unter dem Verdacht, einer vorkonziliaren
Ekklesiologie verpflichtet zu sein, so stellt sich
bei der Lektüre des Buches das ernsthafte Bemühen
heraus, für das Kirchenverständnis einen Horizont
wieder zu gewinnen, der weithin nur noch wenig (zu
wenig!) Beachtung findet, obgleich er im Neuen
Testament und insbesondere in der Epoche der
Patristik einen gewichtigen Platz einnimmt.
Das methodische Vorgehen M.s erscheint dem Leser
ungewohnt: Nicht Paulus, der wichtigste Urheber des
Leib-Christi-Gedankens und die deuteropaulinischen
Interpretationen werden zuerst analysiert, sondern
den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden die
ältesten nicht-kanonischen Bezeugungen der
Leib-Christi-Metapher für die Kirche. Das Argument
der Vfn. für dieses Vorgehen ist zunächst
überzeugend: Eine Analyse dieses biblischen Terminus
könne die neueren exegetischen Erkenntnisse nicht
ignorieren, die nachbiblischen Interpretationen aber
wären ohne diese neuen Erkenntnisse entstanden. Die
methodische Vorentscheidung kann aber dann doch
nicht durchgehalten werden: Da eine völlige
Ausblendung des heutigen Bewußtseins beim Gang durch
die Theologiegeschichte erkenntnistheoretisch nicht
möglich ist, kommt M. nicht umhin, in der Einleitung
(!) wesentliche Grundzüge der paulinischen und der
deuteropaulinischen Deutung des
Leib-Christi-Begriffs zu skizzieren.
Im ersten Kapitel analysiert M. die Vorstellung vom
Leib Christi schwerpunktmäßig in der Alten Kirche.
Vom Ersten Clemensbrief, über Ignatius, Irenäus,
Klemens, Origenes, Tertullian und Cyprian bis hin zu
Augustinus reicht der Bogen in der Patristik.
Gewissenhaft und sorgfältig werden die Quellen
ausgewertet und insbesondere Vergleiche zwischen den
einzelnen Interpretationen geboten und Zusammenhänge
aufgezeigt. Der zweite - dem Gehalt angemessen -
deutlich kürzere Teil des Kapitels bietet dann noch
einen Überblick über die weiteren Entwicklungen des
Leib-Christi-Gedankens im zweiten Jahrtausend. Hier
sind insbesondere die Ausführungen interessant und
aufschlußreich, die die Rückwirkungen
reformatorischer Leib-Christi-Vorstellungen für das
katholische Verständnis bis in die Neuzeit hinein
beschreiben (118-121).
Das zweite Kapitel liefert dann einen Einblick in
die lehramtlichen Äußerungen zum
Leib-Christi-Begriff im zwanzigsten Jahrhundert,
wobei die beiden Enzykliken "Mystici corporis", von
Papst Pius XII. 1943 veröffentlicht, und "Lumen
Gentium", die dogmatische Konstitution über die
Kirche des Zweiten Vatikanums aus dem Jahre 1964,
mit dem Katechismus der Katholischen Kirche aus dem
Jahre 1992 verglichen werden. Dabei fällt für M. der
"Weltkatechismus methodisch wie in vielen
Einzelaussagen deutlich zurück in
Interpretationsmuster, die als überwunden angesehen
werden konnten" (159-160).
Das dritte Kapitel versucht die moderne exegetische
Diskussion zu den Paulusbriefen und den
Deuteropaulinen unter der Perspektive des
Leib-Christi-Gedankens darzustellen. Leider
verzichtet M. - entgegen ihrer sonstigen guten Übung
- darauf, in diesem Kapitel Erkenntnisse und
Entwicklungslinien der vorher bearbeiteten
Fragestellungen aufzunehmen! Das gewählte
methodische Verfahren, die nachbiblischen
Interpretationen zuerst zu analysieren, hätte für
die exegetischen Untersuchungen fruchtbar gemacht
werden können. Ihr systematischer Ansatz verlangt
geradezu nach einem solchen Verfahren! Gleichwohl,
auch dieses Kapitel ist eine ansprechende
Zusammenfassung wichtiger exegetischer Einsichten
zum Thema.
So positiv das Urteil über die grundlegenden Kapitel
ausfällt, so enttäuscht wird der Leser über die
kargen praktisch-theologischen Perspektiven im
vierten Kapitel. Für eine Arbeit, die "zur
Aktualität des Leib-Christi-Gedankens für eine
heutige Pastoral" beitragen möchte, wie es der
Untertitel der Veröffentlichung verspricht, sind die
angedeuteten Konkretisierungen bescheiden
ausgefallen. Nach einer derart gründlichen
Fundierung hätte man gerne von der Vfn. gewußt, wie
denn das kirchengeschichtlich doch relativ neue
Phänomen der distanzierten Kirchenmitgliedschaft mit
dem Leib-Christi-Gedanken verbunden werden kann.
Oder wie die von immer mehr Gemeindegliedern
gewünschte zeitlich-befristete Mitarbeit in
Projekten mit diesem ekklesiologischen Ansatz im
Einklang steht (vereinzelt werden distanzierte
Gemeindeglieder, die punktuelle Angebote wahrnehmen,
sogar negativ als Egoisten apostrophiert, die nur
sich selbst sehen und ihr Heil in ihrer privaten
Beziehung zu Gott suchen; z. B. 207-208; 218). Nur
recht unbestimmt klingt an verschiedenen Stellen an,
wie das Bild vom Leib Christi die real existierende
Konfessionalität des gelebten und verwalteten
christlichen Glaubens integriert.
Insgesamt hat M. dessenungeachtet ein wichtiges Buch
vorgelegt und sowohl die dogmatisch-ekklesiologische,
wie auch die praktisch-theologisch kybernetische
Diskussion bereichert. Für eine Kirchentheorie in
der Schnittmenge zwischen diesen beiden
theologischen Disziplinen liefert die Untersuchung
wichtige Grundlagen, wenngleich die systematischen
Überlegungen quantitativ und qualitativ deutlich
überwiegen.
Das Buch hilft aber auch gerade im ökumenischen
Gespräch weiter: Bemerkenswert ist die konsequente
Aufwertung der Ortsgemeinde für die katholische
Ekklesiologie. Zudem ist die Interpretation des
Leib-Christi-Gedankens hilfreich, um einerseits das
katholische Problem, die geglaubte Kirche mit der
empirischen zu identifizieren und andererseits die
evangelische Versuchung, die geglaubte Kirche von
der empirischen strikt zu trennen, mit einer neuen
Besinnung auf die paulinische Metapher von Kirche zu
entschärfen.
PD Dr. Alfred Seiferlein, (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Gunzenhausener
Str. 7, 91572 Bechhofen a.d.Heide