Das Kleingedruckte:
Nachdem sich immer wieder Leute bei mir beschweren, dass die Werbung auf meiner Homepage
"unsittliche Inhalte" besitzt:
Ich habe keinen Einfluss auf die Inhalte der Werbung. Sie wechselt oft täglich und ich
bin nicht in der Lage, zu kontrollieren, was nun gerade angeboten wird.
Mit Urteil vom 12. Mai 1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass mit Anbringung
eines Links die Inhalte der gelinkten Seite ggf. mit zu verantworten sind. Dies kann - so
das Landgericht - ausschließlich dadurch verhindert werden, dass man sich von diesen
Inhalten ausdrücklich distanziert. Auf diesen Seiten finden Sie Links zu anderen Seiten
im Internet. Für alle diese Links gilt: Ich bemühe mich um Sorgfalt bei der Auswahl der
Verlinkung, habe aber selbst keinerlei Einfluss auf die Inhalte oder die Gestaltung der
gelinkten Seiten. Ich übernehme daher keinerlei Verantwortung für die Inhalte von
Internetseiten, auf deren URL verwiesen wird. Diese Erklärung gilt für alle auf meinen
Seiten angebrachten Links, für die Werbung und für die Inhalte aller Seiten, zu denen
die angebrachten Links führen.
Minimalkonses oder universale Geltung?
Grundrechte,
Grundwerte und die christliche Tradition
In einer
pluralistischen Gesellschaft wird vorausgesetzt, daß
die Rechte aller Gruppierungen und Individuen mit
verschiedenen Wertvorstellungen respektiert werden.
Voraussetzung für ein soziales Zusammenleben sind
gemeinsame zentrale Werte und Normen oder
Verhaltensregeln, die von einer überwiegenden
Mehrheit von Individuen und Gruppen getragen werden.
Nun erhebt sich zwangsläufig die Fragestellung, ob
solche zentralen Werte, Normen und Verhaltensregeln
im kulturellen Milieu jedes Menschen bzw. jeder
Gruppe vorhanden sind. Aufgrund ihrer vorgegebenen
universalen Geltung könnten sie einen
Absolutheitsanspruch einnehmen. Für den Fall, daß
diese transkulturellen Werte nicht vorhanden sind,
müßten sie künstlich geschaffen werden. Ein
illustratives Beispiel für künstlich geschaffene
zentrale Werte ist die Erklärung der Menschenrechte
durch die Vereinten Nationen. Hinter der
Grundsatzfrage steht die prinzipielle
rechtstheoretische Unterscheidung zwischen
Naturrecht oder Rechtspositivismus.
Grundrechte sind
Inhalt theoretischer Betrachtungen
unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen,
von den Rechts- über die Naturwissenschaften
(Gentechnik, Medizin) bis zur Philosophie und der
Theologie. Die Grundrechte bestimmen die
Rahmenbedingungen des Lebens des einzelnen Menschen
ebenso wie das Zusammenleben in Staat und
Gesellschaft. Die Grundrechte aber sind nicht
einfach vorgegeben, sondern sie sind immer davon
bedroht, mißachtet zu werden. Gleichwohl sind sie
als normative Voraussetzung für ein gestaltetes
Zusammenleben zum gegenseitigen Gemeinwohl von
primärem Gewicht. Ihre Respektierung und Geltung
wird als Indikator für die politische Kultur eines
Landes angesehen.
Bei der Untersuchung
von Grundrechten können zwei unterschiedliche Wege
gegangen werden: Entweder werden die Grundrechte als
vorgegebene Dimension betrachtet, die in der
Verfassung festgeschrieben sind und die unter allen
Umständen von allen respektiert werden müssen, oder
aber sie werden verstanden als stets gefährdete,
Veränderungen unterworfene dynamische Grundregeln,
die es unter allen Umständen zu bewahren gilt. Die
beiden Verständnisweisen besitzen wichtige Aspekte
im Umgang mit Grundrechten: Liegt der Ansatz bei der
Überzeugung, daß politisches Handeln Veränderungen
zum Ziel hat, wird die Betonung bei der
Weiterentwicklung von Grundrechten je nach Situation
liegen. Steht hingegen die Stabilität im
Vordergrund, wird die Unveränderlichkeit von
Grundrechten akzentuiert. Ihre Deklaration in
Verfassungen jedenfalls ist keine Garantie für
dauerhafte Geltung.
Bedroht sind die
Grundrechte vor allem deshalb, weil ihre Prämissen
und Grundlagen in einer offenen Gesellschaft nicht
verbindlich erklärt werden können. Zudem gehen die
Grundrechte über den Bereich von Zweckdienlichkeit
und Nützlichkeit zur Gestaltung des Zusammenlebens
hinaus. Sie dienen als Richtlinie zur persönlichen
Lebensführung und als Prinzip für die staatliche
Rechtssetzung. Die Grundrechte basieren auf Werten
und Normen, die vornehmlich aus der europäischen
Geistesgeschichte erwachsen sind, deren wichtigste
Quellen das Christentum mit seinem Ruf zur
Nächstenliebe, das Naturrecht mit seiner Forderung
nach einem menschenwürdigen Leben und die Aufklärung
mit dem Verlangen nach individueller Freiheit
darstellen. Die Anerkenntnis dieser
geistesgeschichtlichen Voraussetzungen kann aber von
niemandem zwingend gefordert werden.
Allerdings besitzt
die Aufklärung in diesem Zusammenhang einen
Grundwiderspruch: Die Forderung nach Toleranz
gegenüber allen Diktionen anderer Kulturen gehört
ebenso zum Geist der Aufklärung wie das Prinzip der
Universalität des autonom denkenden Menschen. Denken
und Toleranz gelangen in ein Konkurrenzverhältnis.
Damit bricht eine Spannung zwischen der Achtung
fremder Kulturen und der menschlichen Vernunft auf.
Am Beispiel der Menschenrechte kann verdeutlicht
werden, wie die Vernunft in Spannung zur kulturellen
Identität vieler Völker steht. Der Anspruch der
Vereinten Nationen auf universale Geltung der aus
der Aufklärung erwachsenen Grundrechte und die
Respektierung anderer Kulturen lassen sich
schwerlich ausgleichen.
Im Bereich der
Grundrechte und -werte gibt es einen elementaren
Zusammenhang zwischen Staat und Religion. Bis in die
Gegenwart hinein ist eine intensive Verknüpfung der
Organisation des menschlichen Lebens mit Religion in
kaum einer Gesellschafts- und Staatsordnung zu
bestreiten; Religiosität gehört zu den
Grundphänomenen menschlichen Daseins überhaupt.
Ein interessanter
Versuch, die religiöse Begründung von Grundrechten
abzulösen, wird von Christoph Müller vorgetragen:
Ohne zu verneinen, daß das Christentum bei der
Genese des demokratischen Rechtsstaates Pate stand,
wird behauptet, daß diese Zusammenhänge durch die
gesellschaftliche Entwicklung ihre Bedeutung
verlieren: „Soziale Einrichtungen sind nicht
notwendigerweise an die historischen Ursachen
gebunden, denen sie ihre Entstehung verdanken.".
Nachdem diese Strukturen etabliert sind, „kann ihr
Weiterleben von Funktionsbedingungen abhängen, die
sich von den Entstehungsbedingungen fundamental
unterscheiden."
Der moderne Staat mit
seiner Verfassungsordnung kann nach dieser Theorie
„nur stabilisiert werden, wenn er sich von den
religiösen Ursprungsmächten löst, aus denen er
herausgewachsen ist." Die Freiheit, die das
Christentum in die staatliche Ordnung eingebracht
hat, wendet sich nun gerade gegen seine eigene
Wurzel: „Die Entstehung eines Grundrechts der
individuellen religiösen Gewissensfreiheit beendet
diese Abhängigkeit der politischen Organisation von
seiner früheren religiösen Basis." Die
Gewissensfreiheit stehe zum säkularen Staat in einem
komplementären Verhältnis.
In ihrem eigenen
Zuständigkeitsbereich aber zeige das Verhalten der
Religionsgemeinschaften, daß sie ihr Erbe selbst
nicht realisieren: „Sie neigen dazu, die
individuelle Gewissensfreiheit, die sich gegen ihren
öffentlichen Anspruch richtet, in ein Grundrecht der
Religionsgesellschaften umzumünzen und als Grundlage
für einen öffentlichen Auftrag zu verstehen." Die
Kirche (Singular!) habe sich trotz des öffentlich
postulierten Urheberrechts in Wirklichkeit nicht mit
dem demokratischen Rechtsstaat ausgesöhnt. Müller
kritisiert die von ihm konstatierte Tendenz des
Bundesverfassungsgerichts, „das Grundgesetz von
einer die Rechtsordnung überwölbenden Wertordnung
aus zu interpretieren."
Als Hintergrund für
die Begründung der Rechtsordnung mit religiösen
Grundwerten und der christlichen Ethik vermutet
Müller ein politisches Interesse: Es gehe um die
„Aufrechterhaltung der gegenwärtigen
Eigentumsstrukturen ... mit allen Mitteln
juristischer Rabulistik ... vor graduellen
Verschiebungen in Richtung auf sozialistische
Gesellschaftsstrukturen." Eine alternative
Begründung der Grundwerte und des demokratischen
Rechtsstaates bleibt Christoph Müller dennoch
schuldig. Selbst wenn die staatliche Ordnung sich
von ihren Wurzeln gelöst haben sollte und nun
autonom existiert, so bleibt doch die Frage nach den
Rahmenbedingungen, unter denen diese Ordnung sich
weiterentwickelt.
Das wichtigste
Argument gegen seinen Versuch, die religiöse
Begründung von Grundrechten abzulösen, nennt
Christoph Müller selbst: Das demokratische
Staatswesen tut sich schwer, selbst Kriterien für
den eigenen Entwicklungsprozeß zu formulieren. Soll
man dafür ohne Notwendigkeit von Anfang an auf „eine
mehrtausendjährige Denktradition" unseres
kulturellen Erbes, die „beim Nachdenken über die
auflösbaren und unauflösbaren Antinomien des
menschlichen Lebens ... im Verlauf der Geschichte
der Religion natürlich sehr viele kluge Gedanken"
entwickelt hat, verzichten? Gerade im demokratischen
Rechtsstaat kann doch keinerlei Zwang ausgeübt
werden, von dieser Tradition bestimmte Elemente zu
übernehmen.
Einen vollkommen
anderen Akzent als Christoph Müller setzt aus
juristischer Perspektive Ernst-Wolfgang Böckenförde:
Er möchte für ein auf Pluralität und Offenheit
angelegtes Gemeinwesen nicht auf den Dienst der
christlichen Kirchen für einen „integrierenden
Fundamentalkonsens, der dem weltanschaulichen und
geistig-ethischen Pluralismus und seiner
zentrifugalen Tendenz gegenübertritt", verzichten.
„Die Kirchen gehören zu jenen Instanzen, die
ethisch-sittliche Grundauffassungen und
Grundhaltungen für die einzelnen und für die
Gesellschaft vermitteln. Sie tun das in
gemeinschaftsbildender Weise, indem sie soziale
Bindungen erhalten und deren religiöse Grundlegung
leisten." Der kirchliche Beitrag zur
gesellschaftlichen Konsensbildung stehe zur
„allgemeinen Konsensbasis nicht einfach quer." Zu
unterscheiden vom Beitrag des Christentums zum
gesellschaftlichen Konsens sind für Böckenförde die
weitergehenden dogmatischen Ansprüche an den
Menschen, die nicht für alle verbindlich erklärt
werden können. Die offensichtliche Tatsache, daß
nicht alle Menschen diesen weitergehenden Anspruch
des christlichen Glaubens für sich persönlich
akzeptieren können, sieht der Verfassungsjurist
Böckenförde nicht nur im freiheitlichen Rechtsstaat
begründet, sondern "es bestätigt nur die biblische
Einsicht, daß die Kirche, die ihrer Sendung treu
bleibt, der Welt - auch in der heutigen Form von
Staat und Gesellschaft - ein Ärgernis ist, ein
Zeichen, dem widersprochen wird."
Es bleibt jedem
Menschen überlassen, welche Entscheidung, und ob
ggf. überhaupt, er/sie für die Begründung von
Grundwerten und -rechten vornimmt. In einem
demokratischen Staat freiheitlicher Prägung kann
diese Begründung der Grundwerte und -rechte nicht
allgemeinverbindlich vorgenommen werden. Ihre
Letztbegründung, das Fundament der Demokratie und
des Rechtsstaates, kann nicht
Mehrheitsentscheidungen und auch nicht der
politischen Willensbildung unterliegen.
Die Verfassung
fordert von den Bürgern des Staates eine ethische
Übereinstimmung in Weltanschauungsfragen und
gegensätzlichen Interessen. Sie beschreibt den
Minimalkonsens, der für das Zusammenleben der
Menschen als notwendig erachtet wird. Über den
Bildungsauftrag der Schule soll dieser Konsens allen
Mitgliedern der Gesellschaft vermittelt werden. Hier
wird der Versuch unternommen, die Übereinstimmung in
ethischen Fragen der nachwachsenden Generation
weiterzugeben - ohne daß ein Kanon dieser zu
vermittelnden Haltungen festgelegt ist. Der
Rechtsstaat kann von sich aus nur Legalität fordern,
bedarf aber eines gewissen Maßes von Moralität für
das Zusammenleben seiner Bürgerinnen und Bürger und
für seine eigene Existenz. Zudem wird der Staat
selbst durch Toleranz- und Neutralitätspflichten
gehindert, einen Grundkonsens in ethischen Fragen zu
formulieren.
Minimalethik
ohne christliche Tradition?
Könnte eine Lösung
dieses Konflikts in einer jenseits
weltanschaulich-religiöser Verbindlichkeit
anzusiedelnde Minimalethik bestehen, die für alle
und jeden überzeugend ist und verpflichtend gemacht
werden kann. Die einschlägige Diskussion in der
Philosophie über das ethische Verhalten des Menschen
wie auch diverse sozialwissenschaftliche Forschungen
zeigen die grundsätzliche Schwierigkeit, das
ethische Denken und Handeln ohne prinzipielle
Orientierung verbindlich zu beschreiben. Die
philosophisch-politische Diskussion über die
Entstehung, Begründung, Funktion des Staates sieht
gerade im Fehlen einer gemeinsamen Wertehierarchie
in modernen Staaten eines der wesentlichen Elemente
dieses Staates. Für viele philosophisch-politische
Theorien gilt, daß Politik und Staat sich bewußt
sind, keine gemeinsame Wertehierarchie zur Basis zu
haben.
Theoretisch könnten
allgemeinverbindliche ethische Normen jenseits einer
christlichen, buddhistischen, liberalistisch,
materialistisch oder sonstwie definierten
Weltanschauung abgesichert werden durch jeden
individuellen Menschen als soziales Vernuftswesen.
Aber hierbei handelt es sich eben auch wieder um
eine weltanschauliche Setzung! Sie ist abgeleitet
aus dem Ideengut der Aufklärung und der
christlich-religiösen Tradition unserer Kultur. Die
Definition, daß nur, was nicht ausschließlich für
den einzelnen, sondern für alle anderen Menschen
gleichermaßen zutreffen soll bzw. darf, von allen in
vergleichbaren Situationen getan oder in Anspruch
genommen werden kann, uneingeschränkte Geltung und
Überzeugungskraft besitzt, unterscheidet sich nicht
von den Maximen christlicher Ethik.
Dr. theol. habil.
Alfred Seiferlein ist Privatdozent an der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg für
Praktische Theologie, zugleich Gemeindepfarrer in
Bechhofen a.d.Heide und Mitglied der Landessynode.
(Die
Anmerkungen sind im Orginalabdruck in den
Nachrichten der Ev.-Luth. Kirche in Bayern,
Maiausgabe 2000, S. 131-133 zu finden
Minimalkonses oder universale Geltung?
Grundrechte, Grundwerte und die
christliche Tradition
In
einer pluralistischen Gesellschaft
wird vorausgesetzt, daß die Rechte
aller Gruppierungen und Individuen
mit verschiedenen Wertvorstellungen
respektiert werden. Voraussetzung
für ein soziales Zusammenleben sind
gemeinsame zentrale Werte und Normen
oder Verhaltensregeln, die von einer
überwiegenden Mehrheit von
Individuen und Gruppen getragen
werden. Nun erhebt sich zwangsläufig
die Fragestellung, ob solche
zentralen Werte, Normen und
Verhaltensregeln im kulturellen
Milieu jedes Menschen bzw. jeder
Gruppe vorhanden sind. Aufgrund
ihrer vorgegebenen universalen
Geltung könnten sie einen
Absolutheitsanspruch einnehmen. Für
den Fall, daß diese transkulturellen
Werte nicht vorhanden sind, müßten
sie künstlich geschaffen werden. Ein
illustratives Beispiel für künstlich
geschaffene zentrale Werte ist die
Erklärung der Menschenrechte durch
die Vereinten Nationen. Hinter der
Grundsatzfrage steht die
prinzipielle rechtstheoretische
Unterscheidung zwischen Naturrecht
oder Rechtspositivismus.
Grundrechte sind Inhalt
theoretischer Betrachtungen
unterschiedlichster
wissenschaftlicher Disziplinen, von
den Rechts- über die
Naturwissenschaften (Gentechnik,
Medizin) bis zur Philosophie und der
Theologie. Die Grundrechte bestimmen
die Rahmenbedingungen des Lebens des
einzelnen Menschen ebenso wie das
Zusammenleben in Staat und
Gesellschaft. Die Grundrechte aber
sind nicht einfach vorgegeben,
sondern sie sind immer davon
bedroht, mißachtet zu werden.
Gleichwohl sind sie als normative
Voraussetzung für ein gestaltetes
Zusammenleben zum gegenseitigen
Gemeinwohl von primärem Gewicht.
Ihre Respektierung und Geltung wird
als Indikator für die politische
Kultur eines Landes angesehen.
Bei
der Untersuchung von Grundrechten
können zwei unterschiedliche Wege
gegangen werden: Entweder werden die
Grundrechte als vorgegebene
Dimension betrachtet, die in der
Verfassung festgeschrieben sind und
die unter allen Umständen von allen
respektiert werden müssen, oder aber
sie werden verstanden als stets
gefährdete, Veränderungen
unterworfene dynamische Grundregeln,
die es unter allen Umständen zu
bewahren gilt. Die beiden
Verständnisweisen besitzen wichtige
Aspekte im Umgang mit Grundrechten:
Liegt der Ansatz bei der
Überzeugung, daß politisches Handeln
Veränderungen zum Ziel hat, wird die
Betonung bei der Weiterentwicklung
von Grundrechten je nach Situation
liegen. Steht hingegen die
Stabilität im Vordergrund, wird die
Unveränderlichkeit von Grundrechten
akzentuiert. Ihre Deklaration in
Verfassungen jedenfalls ist keine
Garantie für dauerhafte Geltung.
Bedroht sind die Grundrechte vor
allem deshalb, weil ihre Prämissen
und Grundlagen in einer offenen
Gesellschaft nicht verbindlich
erklärt werden können. Zudem gehen
die Grundrechte über den Bereich von
Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit
zur Gestaltung des Zusammenlebens
hinaus. Sie dienen als Richtlinie
zur persönlichen Lebensführung und
als Prinzip für die staatliche
Rechtssetzung. Die Grundrechte
basieren auf Werten und Normen, die
vornehmlich aus der europäischen
Geistesgeschichte erwachsen sind,
deren wichtigste Quellen das
Christentum mit seinem Ruf zur
Nächstenliebe, das Naturrecht mit
seiner Forderung nach einem
menschenwürdigen Leben und die
Aufklärung mit dem Verlangen nach
individueller Freiheit darstellen.
Die Anerkenntnis dieser
geistesgeschichtlichen
Voraussetzungen kann aber von
niemandem zwingend gefordert werden.
Allerdings besitzt die Aufklärung in
diesem Zusammenhang einen
Grundwiderspruch: Die Forderung nach
Toleranz gegenüber allen Diktionen
anderer Kulturen gehört ebenso zum
Geist der Aufklärung wie das Prinzip
der Universalität des autonom
denkenden Menschen. Denken und
Toleranz gelangen in ein
Konkurrenzverhältnis. Damit bricht
eine Spannung zwischen der Achtung
fremder Kulturen und der
menschlichen Vernunft auf. Am
Beispiel der Menschenrechte kann
verdeutlicht werden, wie die
Vernunft in Spannung zur kulturellen
Identität vieler Völker steht. Der
Anspruch der Vereinten Nationen auf
universale Geltung der aus der
Aufklärung erwachsenen Grundrechte
und die Respektierung anderer
Kulturen lassen sich schwerlich
ausgleichen.
Im
Bereich der Grundrechte und -werte
gibt es einen elementaren
Zusammenhang zwischen Staat und
Religion. Bis in die Gegenwart
hinein ist eine intensive
Verknüpfung der Organisation des
menschlichen Lebens mit Religion in
kaum einer Gesellschafts- und
Staatsordnung zu bestreiten;
Religiosität gehört zu den
Grundphänomenen menschlichen Daseins
überhaupt.
Ein
interessanter Versuch, die religiöse
Begründung von Grundrechten
abzulösen, wird von Christoph Müller
vorgetragen: Ohne zu verneinen, daß
das Christentum bei der Genese des
demokratischen Rechtsstaates Pate
stand, wird behauptet, daß diese
Zusammenhänge durch die
gesellschaftliche Entwicklung ihre
Bedeutung verlieren: „Soziale
Einrichtungen sind nicht
notwendigerweise an die historischen
Ursachen gebunden, denen sie ihre
Entstehung verdanken.". Nachdem
diese Strukturen etabliert sind,
„kann ihr Weiterleben von
Funktionsbedingungen abhängen, die
sich von den Entstehungsbedingungen
fundamental unterscheiden."
Der
moderne Staat mit seiner
Verfassungsordnung kann nach dieser
Theorie „nur stabilisiert werden,
wenn er sich von den religiösen
Ursprungsmächten löst, aus denen er
herausgewachsen ist." Die Freiheit,
die das Christentum in die
staatliche Ordnung eingebracht hat,
wendet sich nun gerade gegen seine
eigene Wurzel: „Die Entstehung eines
Grundrechts der individuellen
religiösen Gewissensfreiheit beendet
diese Abhängigkeit der politischen
Organisation von seiner früheren
religiösen Basis." Die
Gewissensfreiheit stehe zum
säkularen Staat in einem
komplementären Verhältnis.
In
ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich
aber zeige das Verhalten der
Religionsgemeinschaften, daß sie ihr
Erbe selbst nicht realisieren: „Sie
neigen dazu, die individuelle
Gewissensfreiheit, die sich gegen
ihren öffentlichen Anspruch richtet,
in ein Grundrecht der
Religionsgesellschaften umzumünzen
und als Grundlage für einen
öffentlichen Auftrag zu verstehen."
Die Kirche (Singular!) habe sich
trotz des öffentlich postulierten
Urheberrechts in Wirklichkeit nicht
mit dem demokratischen Rechtsstaat
ausgesöhnt. Müller kritisiert die
von ihm konstatierte Tendenz des
Bundesverfassungsgerichts, „das
Grundgesetz von einer die
Rechtsordnung überwölbenden
Wertordnung aus zu interpretieren."
Als
Hintergrund für die Begründung der
Rechtsordnung mit religiösen
Grundwerten und der christlichen
Ethik vermutet Müller ein
politisches Interesse: Es gehe um
die „Aufrechterhaltung der
gegenwärtigen Eigentumsstrukturen
... mit allen Mitteln juristischer
Rabulistik ... vor graduellen
Verschiebungen in Richtung auf
sozialistische
Gesellschaftsstrukturen." Eine
alternative Begründung der
Grundwerte und des demokratischen
Rechtsstaates bleibt Christoph
Müller dennoch schuldig. Selbst wenn
die staatliche Ordnung sich von
ihren Wurzeln gelöst haben sollte
und nun autonom existiert, so bleibt
doch die Frage nach den
Rahmenbedingungen, unter denen diese
Ordnung sich weiterentwickelt.
Das
wichtigste Argument gegen seinen
Versuch, die religiöse Begründung
von Grundrechten abzulösen, nennt
Christoph Müller selbst: Das
demokratische Staatswesen tut sich
schwer, selbst Kriterien für den
eigenen Entwicklungsprozeß zu
formulieren. Soll man dafür ohne
Notwendigkeit von Anfang an auf
„eine mehrtausendjährige
Denktradition" unseres kulturellen
Erbes, die „beim Nachdenken über die
auflösbaren und unauflösbaren
Antinomien des menschlichen Lebens
... im Verlauf der Geschichte der
Religion natürlich sehr viele kluge
Gedanken" entwickelt hat,
verzichten? Gerade im demokratischen
Rechtsstaat kann doch keinerlei
Zwang ausgeübt werden, von dieser
Tradition bestimmte Elemente zu
übernehmen.
Einen
vollkommen anderen Akzent als
Christoph Müller setzt aus
juristischer Perspektive
Ernst-Wolfgang Böckenförde: Er
möchte für ein auf Pluralität und
Offenheit angelegtes Gemeinwesen
nicht auf den Dienst der
christlichen Kirchen für einen
„integrierenden Fundamentalkonsens,
der dem weltanschaulichen und
geistig-ethischen Pluralismus und
seiner zentrifugalen Tendenz
gegenübertritt", verzichten. „Die
Kirchen gehören zu jenen Instanzen,
die ethisch-sittliche
Grundauffassungen und Grundhaltungen
für die einzelnen und für die
Gesellschaft vermitteln. Sie tun das
in gemeinschaftsbildender Weise,
indem sie soziale Bindungen erhalten
und deren religiöse Grundlegung
leisten." Der kirchliche Beitrag zur
gesellschaftlichen Konsensbildung
stehe zur „allgemeinen Konsensbasis
nicht einfach quer." Zu
unterscheiden vom Beitrag des
Christentums zum gesellschaftlichen
Konsens sind für Böckenförde die
weitergehenden dogmatischen
Ansprüche an den Menschen, die nicht
für alle verbindlich erklärt werden
können. Die offensichtliche
Tatsache, daß nicht alle Menschen
diesen weitergehenden Anspruch des
christlichen Glaubens für sich
persönlich akzeptieren können, sieht
der Verfassungsjurist Böckenförde
nicht nur im freiheitlichen
Rechtsstaat begründet, sondern "es
bestätigt nur die biblische
Einsicht, daß die Kirche, die ihrer
Sendung treu bleibt, der Welt - auch
in der heutigen Form von Staat und
Gesellschaft - ein Ärgernis ist, ein
Zeichen, dem widersprochen wird."
Es
bleibt jedem Menschen überlassen,
welche Entscheidung, und ob ggf.
überhaupt, er/sie für die Begründung
von Grundwerten und -rechten
vornimmt. In einem demokratischen
Staat freiheitlicher Prägung kann
diese Begründung der Grundwerte und
-rechte nicht allgemeinverbindlich
vorgenommen werden. Ihre
Letztbegründung, das Fundament der
Demokratie und des Rechtsstaates,
kann nicht Mehrheitsentscheidungen
und auch nicht der politischen
Willensbildung unterliegen.
Die
Verfassung fordert von den Bürgern
des Staates eine ethische
Übereinstimmung in
Weltanschauungsfragen und
gegensätzlichen Interessen. Sie
beschreibt den Minimalkonsens, der
für das Zusammenleben der Menschen
als notwendig erachtet wird. Über
den Bildungsauftrag der Schule soll
dieser Konsens allen Mitgliedern der
Gesellschaft vermittelt werden. Hier
wird der Versuch unternommen, die
Übereinstimmung in ethischen Fragen
der nachwachsenden Generation
weiterzugeben - ohne daß ein Kanon
dieser zu vermittelnden Haltungen
festgelegt ist. Der Rechtsstaat kann
von sich aus nur Legalität fordern,
bedarf aber eines gewissen Maßes von
Moralität für das Zusammenleben
seiner Bürgerinnen und Bürger und
für seine eigene Existenz. Zudem
wird der Staat selbst durch
Toleranz- und Neutralitätspflichten
gehindert, einen Grundkonsens in
ethischen Fragen zu formulieren.
Minimalethik ohne
christliche Tradition?
Könnte eine Lösung dieses Konflikts
in einer jenseits
weltanschaulich-religiöser
Verbindlichkeit anzusiedelnde
Minimalethik bestehen, die für alle
und jeden überzeugend ist und
verpflichtend gemacht werden kann.
Die einschlägige Diskussion in der
Philosophie über das ethische
Verhalten des Menschen wie auch
diverse sozialwissenschaftliche
Forschungen zeigen die
grundsätzliche Schwierigkeit, das
ethische Denken und Handeln ohne
prinzipielle Orientierung
verbindlich zu beschreiben. Die
philosophisch-politische Diskussion
über die Entstehung, Begründung,
Funktion des Staates sieht gerade im
Fehlen einer gemeinsamen
Wertehierarchie in modernen Staaten
eines der wesentlichen Elemente
dieses Staates. Für viele
philosophisch-politische Theorien
gilt, daß Politik und Staat sich
bewußt sind, keine gemeinsame
Wertehierarchie zur Basis zu haben.
Theoretisch könnten
allgemeinverbindliche ethische
Normen jenseits einer christlichen,
buddhistischen, liberalistisch,
materialistisch oder sonstwie
definierten Weltanschauung
abgesichert werden durch jeden
individuellen Menschen als soziales
Vernuftswesen. Aber hierbei handelt
es sich eben auch wieder um eine
weltanschauliche Setzung! Sie ist
abgeleitet aus dem Ideengut der
Aufklärung und der
christlich-religiösen Tradition
unserer Kultur. Die Definition, daß
nur, was nicht ausschließlich für
den einzelnen, sondern für alle
anderen Menschen gleichermaßen
zutreffen soll bzw. darf, von allen
in vergleichbaren Situationen getan
oder in Anspruch genommen werden
kann, uneingeschränkte Geltung und
Überzeugungskraft besitzt,
unterscheidet sich nicht von den
Maximen christlicher Ethik.
Dr.
theol. habil. Alfred Seiferlein ist
Privatdozent an der
Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg für Praktische
Theologie, zugleich Gemeindepfarrer
in Bechhofen a.d.Heide und Mitglied
der Landessynode.
(Die Anmerkungen sind im
Orginalabdruck in den Nachrichten
der Ev.-Luth. Kirche in Bayern,
Maiausgabe 2000, S. 131-133 zu
finden