Prof. Dr. Alfred Seiferlein
Institut für Praktische Theologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Problematische Werte
 

Zur Bedeutung der „Werte" in unserer Gesellschaft und der Rede von ihrer Krise

„Die gegenwärtige Wertkrise betrifft zwar alle Altersgruppen, Teilkulturen und Schichten, ist aber für Jugendliche besonders prototypisch, weil diese einen Parabolspiegel unserer Gesellschaft darstellen." Zu diesem Urteil kommt Reinhold Mokrosch; er hat mit einer „Arbeitsgruppe für empirische Wertforschung" die Werthaltungen Jugendlicher in einem großangelegten Forschungsprojekt untersucht. Zunächst wendet er sich in seiner Auswertung des Projekts gegen die Auffassung, daß „angesichts des gegenwärtigen Wertpluralismus und Wertchaos" allgemein und pauschal von bestimmten Werthaltungen Jugendlicher gesprochen werden kann. Die Probleme mit dem Wertpluralismus und den Wertrangfolgen treffen Jugendliche stärker als Erwachsene, weil sie sich noch auf grundsätzlicher Orientierungssuche befinden. Es ist aus diesem Grunde sinnvoll, sich bei der Frage nach der Wertorientierung besonders mit der Perspektive der jungen Generation zu befassen.

Entstanden ist die Verunsicherung in Wertfragen: (1.) durch die „Nichtbewältigung des Wertwandels der 70er und 80er Jahre, (2.) durch Individualisierung und Privatisierung, Traditions- und Religionsverlust und (3.) durch sozioökologische und sozialpsychische Faktoren". Als Beispiele für diese Faktoren nennt Mokrosch den „Mangel an glaubwürdigen Vorbildern, politischen Vertrauensverlust, zerrüttete Familien, Medienüberflutung, ... Bastelbiographien, fehlende Alltagsorientierung, Mangel an Lebenszielen". Die gesamte Untersuchung wendet sich gegen platte Aufforderungen zur Überwindung der Wertkrise. Es genüge nicht, mit normativen Appellen wieder Mut zur Erziehung zu verlangen oder sinnvolle Lebensziele zu proklamieren. Reinhold Mokrosch setzt dagegen sein Programm der „Ermutigung zum Wahrnehmen, Aushalten und verantwortlichen Reduzieren von alltäglichen Wertspannungen"- die Wertspannungen bestehen "z.B. zwischen privatem Glück und Gemeinwohl, Selbstverwirklichung und Gemeinschaftsverwirklichung, Egoismus und Altruismus, Konsum und einfachen Leben, Naturbeherrschung und Naturbewahrung, Gewalt und Gewaltlosigkeit usw."

Die allgemeinen Aufforderungen zur Besinnung auf Werte sind in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen eine Zeitstil-Erscheinung. Fraglich bleibt allerdings bei dieser Aufforderung, welche Werte vermittelt werden sollen. In der Regel sind es die durch die eigene Lebensführung proklamierten – aber nicht immer durch das eigene Handeln umgesetzten Vorsätze.

Selbst wenn die Benennung einiger Werte, die berücksichtigt werden sollen, gelingt, dann stellt sich die grundsätzliche Problematik des Wertbegriffs: „An der Rede vom Wertverlust läßt sich die Schwäche des Wertbegriffs zeigen. Werte kann man nicht wie eine Uhr verlieren. Wer anderen Werteverlust attestiert, meint in der Regel, daß er bei anderen die Akzeptanz der Werte vermißt, die ihm selbst wichtig sind. Der fehlenden Akzeptanz der einen Werthierarchie kann aber durchaus die Affirmation einer anderen gegenüberstehen." Der Begriff der Werteerziehung suggeriert das Mißverständnis, man könne Jugendliche (Erwachsenensind selten im Blick, obgleich bei ihnen doch die gleichen Defizite bestehen!) zu Werten erziehen wie zur Sauberkeit, Ordnung und Fleiß. In der Religionspädagogik ist längst die Überzeugung unbestritten, daß niemand zum christlichen Glauben „erzogen" werden kann. In der Werteerziehung kann es allenfalls darum gehen, den Schülerinnen und Schüler tradierte Werte einsichtig und verstehbar zu machen.

Der Weg des Lernens in Überzeugungs- und Verhaltensfragen geht über gelebte Beispiele von gelungener Lebensführung und über die Identifikation mit exemplarischen Vorbildern. Das Gesamte, was ein Mensch nicht natürlicherweise kann oder durch Reife- und Entwicklungsprozesse an Fähigkeiten, Fertigkeiten und Verhaltensdispositionen von sich aus erhält, muß er vom ersten Tag seines Lebens an aus Interaktion mit den Menschen oder Dingen seiner Umwelt erlernen. Gelernt werden daher auch Einstellungen, Grundüberzeugungen, Normen und Wertbeurteilungen, das Umgehen mit Gewissensfragen und mit Sinnorientierung. Wird von konservativer Seite immer wieder gefordert, daß die Schule in diesem Bestreben federführend sein muß, so dürfen bei diesem Prozeß die Möglichkeiten der Schule nicht überbewertet werden, sie ist für die Ausbildung von Werten bei jungen Menschen nur ein Bereich neben den anderen Feldern, in denen sich junge Menschen bewegen. Dem Unterricht fällt vor allem die Aufgabe der Reflexion und Begründung von Haltungen und Handlungsmotivation zu.

Was Jugendliche sich unter gesellschaftlichem Zusammenleben vorstellen und die Entwicklung ihrer Einstellungen, wie z.B. Toleranz, Kompromißbereitschaft und die Offenheit für Neues, hängen weitgehend von den Prägungen des Elternhauses, der leitbildsetzenden Funktion in ihrem Freundeskreis und dem Einfluß der öffentlichen Medien ab. Die Persönlichkeitsbildung junger Menschen wird jedenfalls nur zu einem geringen Teil durch die schulische Erziehung beeinflußt.

 

 

Wer entscheidet über „die Werte"?

Aus juristischer Sicht sind „die Werte" ein schwer zu fassender Bereich. Ernst-Wolfgang Böckenförde macht darauf aufmerksam, daß es eine „Werteordnung der Verfassung" im Sinne einer „rational kontrollierbaren Erkenntnis von Werten ... nicht gibt." Nicht einmal sei ein „rational begründetes Vorzugs- und Abwägesystem für konkurrierende Geltungsansprüche verschiedener, oftmals miteinander kollidierender Werte" auszumachen. „Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Selbstverwirklichung, Solidarität, Schutz des Lebens werden heutzutage als in der Verfassung enthaltene ‘Werte` nebeneinandergestellt, ohne daß gesagt wird, warum sie ‘Werte` sind und in welchem Rang- und Zuordungsverhältnis sie und die aus ihnen sich ergebenden rechtspraktischen Folgerungen zueinander stehen."

Für Böckenförde stellt die Berufung auf die Werte lediglich „eine pluralistische Einigungsformel für etwas (dar), das im Hinblick auf die Fundierung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung einer sinnvermittelnden Begründung bedarf, ohne daß diese Begründung mit dieser Berufung selbst schon gegeben ist." Werte sind nach dieser Definition eine Benennung von geforderten oder vorhandenen Übereinstimmungen, die sich je nach gesellschaftlichem Trend verändern und modischen Strömungen ausgeliefert sind. „Juristisch gesehen gibt das Verständnis der Verfassung als Wertgrundlage und Wertordnung nicht die erhoffte metapositive Fundamentalbegründung." Vor dem Hintergrund des dynamischen Verständniswandels der Werte würde die Interpretation der Verfassung bzw. deren normativer Gehalt der jeweiligen Zeitströmung ausgeliefert.

Wer entscheidet über die Werte? Der Staat ist aufgrund der Verfassung daran interessiert, „Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Selbstverwirklichung, Solidarität, Schutz des Lebens" als Werte zu vermitteln, aber die Interpretation dieser Werte, ihre Reihenfolge bzw. ihre Gewichtung können von Staats wegen nicht festgelegt werden. Das Grundgesetz und die Länderverfassungen stellen keinen Katalog über die Rangfolge von Werten auf, nicht einmal ein fester Kanon ist auszumachen.

 

 

Werte in den Parteiprogrammen

Da der Staat selbst keine feste Rangordnung von Werten benennt und benennen kann, ist es notwendig, auf die in der Gesellschaft vorgenommenen Prioritätensetzungen zu blicken. Eine Vergleichbarkeit bieten hierbei insbesondere die politischen Parteien, weil sie in ihren Programmen grundsätzliche Aussagen zu ihren Wertvorstellungen treffen. Die programmatischen Entscheidungen der Parteien sind für andere gesellschaftliche Gruppierungen, die selbst keine explizite Wertediskussionen führen, paradigmatisch, weil die grundsätzlichen Orientierungen (sozial - konservativ - liberal - ökologisch usw.) auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen bestimmend sind.

Das Grundsatzprogramm der CDU vom Februar 1994 nennt als Grundwerte nur Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Grundsätzlich zum Verständnis der Grundwerte wird ausgeführt: „Die Grundwerte erfordern und begrenzen sich gegenseitig. Keiner erfüllt ohne die anderen seinen Sinn. Ihre Gewichtung untereinander richtig zu gestalten ist Kern der politischen Auseinandersetzung." Das Grundsatzprogramm der CDU definiert dann die Grundwerte als universale Menschenrechte: „Die Grundwerte sind als unteilbare Menschenrechte nicht auf nationale Grenzen beschränkt und sind verpflichtende Grundlage für unsere Außenpolitik."

Genau die drei gleichen Begriffe wie das Programm der CDU nennt auch das Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) vom Dezember 1989: „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die Grundwerte des Demokratischen Sozialismus. Sie sind unser Kriterium für die Beurteilung der politischen Wirklichkeit, Maßstab für eine neue und bessere Ordnung der Gesellschaft und zugleich Orientierung für das Handeln ..." Nun mag die Übereinstimmung in den drei Begriffen, die für die beiden großen Parteien die Grundwerte definieren, überraschen.

Allerdings bestehen im Verständnis der Begriffe deutliche Unterschiede: Während für die SPD zwar „der Mensch als Einzelwesen zur Freiheit berufen und befähigt" ist, so bleibt er dennoch auf andere, vor allem auf die Gesellschaft zur Gestaltung der Freiheit angewiesen: „Die Chance zur Entfaltung seiner Freiheit ist aber stets eine Leistung der Gesellschaft." Das Freiheitsverständnis der SPD setzt Bedingungen voraus: „Freiheit verlangt Freisein von entwürdigenden Abhängigkeiten, von Not und Furcht ... Nur wer sich sozial ausreichend gesichert weiß, kann seine Chance zur Freiheit nutzen." Das CDU-Programm versteht die Freiheit dagegen umfassender: Nicht die soziale Absicherung ist die Voraussetzung, sondern die Begrenzung von staatlichen Regelungen: „Es ist die Aufgabe der Politik, den Menschen den notwendigen Freiheitsraum zu sichern". Nicht - wie bei der SPD - die soziale Absicherung durch die Gemeinschaft ist die Voraussetzung für die Freiheit, sondern die „Verwirklichung der Freiheit bedarf der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung."

Zwei Begriffe charakterisieren für die Freie Demokratische Partei Deutschlands (FDP) die Werte: „Wir wollen eine Rückbesinnung auf die zentralen Werte des Liberalismus: Freiheit und Verantwortung." Der Freiheitsbegriff wird von der FDP deutlich radikaler als von SPD und CDU interpretiert: Während die anderen Parteien den neuen Herausforderungen mit der Forderung nach mehr Staat begegnen, setzen die Liberalen auf „Freiheit als politisches Gestaltungsprinzip." Die soziale Absicherung als Voraussetzung für den Gebrauch der Freiheit wird gar polemisch als „Vollkaskomentalität" gebrandmarkt.

Ein Parteiprogramm wie es bei den anderen politischen Gruppierungen vorhanden ist, wurde von Bündnis 90/Die Grünen bisher nicht verabschiedet. Die letzte umfassende konzeptionelle Verlautbarung auf Bundesebene stellt das Programm zur Bundestagswahl 1998 dar. Darin verzichtet diese Partei auf die Definition von Werten. Allerdings nennt die Präambel des Programms folgende Stichworte, die für Bündnis 90/Die Grünen wichtige Leitvorstellungen für das politische Handeln darstellen: Als Zielvorstellung wird eine Gesellschaft definiert, die solidarisch, ökologisch, multikulturell, tolerant, emanzipatorisch und friedfertig sein soll. Im Gegensatz zu anderen Parteien spielt die Freiheit bei Bündnis 90/Die Grünen eher eine untergeordnete Rolle: Im Zusammenhang mit den Überlegungen zu den demokratischen Entscheidungsrechten fordert die Partei ganz allgemein einen Ausbau der individuellen Grund- und Freiheitsrechte, ohne diese näher zu bestimmen.

Für die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) stellt der Sozialismus ein „Wertesystem (dar), in dem Freiheit, Gleichheit und Solidarität" als die wichtigsten Koordinatenpunkte bezeichnet werden. Auf eine nähere Bestimmung des Freiheitsbegriffs verzichtet die PDS. Es wird nur ausgeführt, daß mit diesen Grundwerten „menschliche Emanzipation, soziale Gerechtigkeit, Erhaltung der Natur und Frieden untrennbar verbunden sind."

Die Analyse der Programme der im Bundestag vertretenen Parteien hinsichtlich der Wertvorstellungen zeigt eine überraschende Übereinstimmung in der Begrifflichkeit, was die Grundwerte anbelangt. Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und die Verantwortung des Menschen für das Gemeinwohl sind in allen Parteiprogrammen mehr oder weniger akzentuiert enthalten. Allerdings zeigen sich erhebliche Unterschiede im Verständnis der Begriffe. Über die Vermittlung von Werten schweigen sich die Parteiprogramme aus.

 

 

Wertewandel?

Ungeachtet der Probleme mit der Bestimmung von Werten besitzt die ethische Fragestellung in unserer Gesellschaft eine ungebrochene Wertschätzung. Die Diskussion um die Werte ist als Folge der technologischen Entwicklung zu sehen. Die Autonomie des Denkens und Handelns ist zum bestimmenden Kennzeichen der modernen Lebens- und Wertgestaltung geworden. Der Mensch verfügt durch die technischen Möglichkeiten über das Ganze der Welt. Zugleich aber sind die überkommenen Wert- und Normensysteme bewußt verabschiedet worden. Während es für den Handwerker des 18. Jahrhunderts keine Spannung zwischen seiner Tätigkeit und ethischen Maximen gegeben hat, denn sein Handeln war schon von vornherein durch die Zwecke des Handwerks und dem damit verbundenen Tugendkanon moralisch legitimiert, treten die ethischen Fragen mit der sich verselbständigenden wissenschaftlich-technischen Entwicklung aus einem Handlungszusammenhang heraus und werden nicht mehr durch eine festgelegte Tradition bestimmt.

Die Entwicklung in der jungen Generation verläuft parallel: Nicht nur der wissenschaftlich-technische Fortschritt unterliegt dem emanzipatorischen Prozeß als Folge der Aufklärung, sondern ebenso die Erziehung des Menschen liegt in der eigenen Hand als Gegenstand menschlicher Reflexion.

Durch die rasche Entwicklung im wissenschaftlich-technischen Bereich stellt sich die ethische Frage in verschärfter Form. Einerseits bieten sich durch neue technische Möglichkeiten zusätzliche Chancen für eine humane Gestaltung des menschlichen Lebens, zugleich aber wachsen auch die Risiken, die z.B. mit großtechnischen Anwendungen verbunden sind. Für den Menschen stellt sich die Herausforderung in doppelter Hinsicht: Ihm muß ein verantwortlicher Umgang mit den zusätzlichen Möglichkeiten aufgezeigt und einsichtig gemacht werden, zugleich aber muß ein Bewußtsein gegenüber den Gefahren der neuen Opportunitäten gefördert werden, um die daraus resultierenden Risiken zu begrenzen.

 

 

Historische Last

Nicht den wissenschaftlich-technischen Fortschritt, sondern einen geschichtlichen Grund für die verstärkte Diskussion um die Werte erkennt Elisabeth Noelle-Neumann. Sie sieht aufgrund von Befragungen ihres Instituts für Demoskopie in Allensbach einen historischen Grund für den Wertewandel und eine grundsätzliche Problematik aller Wertevorstellungen: „Die von den Nazis mobilisierten und ungeheuer mißbrauchten Werte sind heute diskreditiert. Gemeinnutz vor Eigennutz, Pflichterfüllung, Opferbereitschaft, das gilt als altmodisch oder verwerflich. Es sind aber ganz wichtige, für eine Gesellschaft unentbehrliche Werte ..." Auf die Frage, welche Werte renaissancewürdig seien, antwortete Elisabeth Noelle-Neumann: „Zuerst Freiheit ... im Sinne von Verantwortung für das eigene Schicksal, Entscheidungsfreiheit, Bereitschaft zum Risiko, zur Härte, zum intensiven Arbeiten."

Anders als Elisabeth Noelle-Neumann analysiert der oben bereits zitierte Reinhold Mokrosch einen „Wertwandel des Wertwandels", aber kein Zurück zu den Vorstellungen der 50er Jahre: „An die Stelle von Wertabbrüchen sind Wertverschiebungen und widersprüchliche Wertemischungen getreten." Jugendliche würden um die Spannung zwischen Selbstbehauptung und Selbstentfremdung, zwischen Machbarkeit und Schicksalsergebenheit wissen. Die Widersprüche seien menschliche Grundsituationen, in denen sich der Mensch vor Gott erfährt. Der Mensch aber versuche seine Widersprüchlichkeit durch Wertemischung zu harmonisieren.

Von einem grundsätzlichen Wertewandel kann in unserer Gesellschaft nicht gesprochen werden, allenfalls vom Wegfallen einer tradierten Proklamation von bestimmten Werten. Die Wertemischung führt nicht automatisch zum Verschwinden der entsprechenden Handlungsregelungen, deren Ausformung die Werte sind. Strukturelle und gesellschaftliche Notwendigkeiten erfordern ein stärker eigenbestimmtes Leben, aber dieses so geführte Leben setzt der tradierten Verhaltensvorstellungen mit ihren festen Rollenkonventionen und Erwartungshaltungen schwer zu. Die Individualisierung steht aber keinesfalls grundsätzlich gegen ein wertorientiertes Leben.

 

 

Eigenständige Wertsetzung?

Die ethische Fragestellung besitzt in verschiedenen Bereichen Konjunktur. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt und die gesellschaftlichen Veränderungen führen zu einer neuen Ethikbedürftigkeit der Gesellschaft. Nicht nur die praktische Philosophie gewinnt zunehmend an Bedeutung, immer mehr Wissenschaftsdisziplinen setzen auf eine eigene ethische Begleitforschung (z.B. Medizinethik, Technikethik, usw.). Die Frage aber, ob die Ethik als wissenschaftliche Disziplin überhaupt Orientierung für die Gegenwarts- und Zukunftsfragen anbieten könne, muß als umstritten bezeichnet werden.

Die Ethik greift die in der Gesellschaft vorhandenen Überzeugungen auf und sucht sie zu reflektieren. Die philosophische Ethik bewegt sich in der Diskussion um die Orientierung für die Gegenwarts- und Zukunftsfragen im Raum der Wertsetzungen und ist Teil dieser Auseinandersetzungen. Die Ethik kann, wenn keine Wertsetzungen vorgegebenen werden, nur die aufgreifen, die in der Gesellschaft vorhanden sind. Weil es für die Disziplin keine eigenständige Wertsetzung gibt, vollzieht die Ethik einen tatsächlichen oder vermeintlichen Wertewandel zwangsläufig immer nur mit.

Dr. theol. habil. Alfred Seiferlein ist Privatdozent an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg für Praktische Theologie, zugleich Gemeindepfarrer in Bechhofen a.d.Heide und Mitglied der Landessynode.

 

(Die Anmerkungen sind im Orginalabdruck in den Nachrichten der Ev.-Luth. Kirche in Bayern, Juliausgabe 1999, S. 199-202 zu finden)

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